Alles BIO? Gütesiegel oder Etikettenschwindel?
Mittwoch, 29. Dezember 2021 09:23:03 Europe/Berlin
Jahr für Jahr wächst die Zahl der Menschen, die sich für Bio-Lebensmittel entscheiden. Immer mehr Menschen ernähren sich bewusster und suchen gezielt nach Informationen und Orientierung bei der Auswahl besonders gesunder und nachhaltiger Lebensmittel. So wächst nicht nur die Zahl der Bio-Supermärkte, Hofläden und Reformhäuser, sondern auch die Zahl der Gütesiegel, die auf der Verpackung auf eine biologische Erzeugung und Verarbeitung der Lebensmittel hinweisen. Eine Vielzahl von bunten Siegeln und mehrdeutigen Begriffen erschweren es den Verbraucher(inne)n jedoch, den Überblick zu behalten. Kleine Hersteller von Lebensmitteln, wie Hobby-Marmeladenköche, Imker und Hofladen-Betreiber fragen sich, ob der Aufwand einer Zertifizierung eine leichte überwindbare Hürde auf dem Weg zum Bio-Anbieter ist oder ob das Siegel nur ein Kostenfaktor ohne echten Mehrwert darstellt.
BIO wird vom Verbraucher vermehrt nachgefragt
Der aktuelle Ernährungsreport der Bundesregierung zeigt auf, dass die Herkunft und ökologische Herstellung von besonderer Bedeutung ist. Immer mehr Menschen schauen beim Einkauf auf ein entsprechendes Gütezeichen: 68 Prozent der Befragten achten immer oder meistens auf die regionale Herkunft eines Produkts. Auf ein Biosiegel achten 64 Prozent und damit mehr Befragte als noch im Vorjahr (50 Prozent). Sehr wichtig ist für die Befragten auch, dass die Lebensmittel aus ihrer Region kommen (82 Prozent). Das zunehmende gesundheits- und umweltbewusste Kaufverhalten darf nicht übersehen werden. Dennoch ist der Umkehrschluss, dass ohne Bio-Siegel die Absätze natürlicher Nahrungsmittel limitiert und erschwert sind, nicht zulässig. Am Point-of-Sale ist es entscheidend, ob eine biologische Herstellung glaubhaft kommuniziert wird. Auch die Ldnwirtschaftz und Lebensmittelindustrie setzt auf den Bio-Trend. Täglich nutzten neue Betriebe die Bio-Chance. Mittlerweile wirtschaften 13,4 % aller landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ökologisch. 3,8 % mehr Höfe kamen im Jahr 2020 hinzu; auch wenn sich im Corona-Jahr weniger Bäuerinnen und Bauern für die beratungs-, arbeits- und auch investitionsintensive Öko-Umstellung entschieden als 2019. Über 8.000 Höfe setzen in den vergangenen fünf Jahren auf Öko-Landwirtschaft – im selben Zeitraum verlor Deutschland insgesamt fast 12.000 Höfe. In den letzten fünf Jahren stiegen 3.351 Betriebe in die Produktion von Öko-Lebensmitteln ein. Das Gros der Betriebe ist mittelständisch geprägt und wirtschaftet im ländlichen Raum, so ergab eine Befragung des BÖLW.
An Hinweisen auf biologisch hergestellte Lebensmittel mangelt es nicht.
Seit 1993 gibt es die EG-Öko-Verordnung. „Bio“ und „Öko“ sind seither rechtlich geschützte Bezeichnungen. Zur Orientierung gilt: Wenn auf einer Verpackung „Bio(logisch)“ oder „Öko(logisch)“, „aus kontrolliertem ökologischem Anbau“ oder „biologisch-dynamisch“ steht, so muss der Inhalt nach den Vorschriften der EG-Öko-Verordnung hergestellt und entsprechend kontrolliert worden sein. Nicht geschützt sind beispielsweise Begriffe wie „natürlich“ oder „naturnah“, „unbehandelt“, „schadstoffkontrolliert“ oder „aus umweltschonender Landwirtschaft“. Die Begriffe stehen nicht für echte Bio-Lebensmittel. Es zeigt sich bei den Verbrauchern eine zunehmende Skepsis, ob alle BIO-Siegel tatsächlich ihre Versprechen einhalten können. Um in der Masse der Bio-Siegel und Attribute wie „aus integrierter Landwirtschaft“, „aus artgerechter Haltung“ oder „aus der Region“ den Durchblick zu behalten, ist gar nicht so leicht. Daher hier ein kleiner Leitfaden, was sich hinter den Siegeln versteckt.
Die wichtigsten Bio-Siegel im Überblick
Bio-Siegel im Überblick: EU-Bio-Siegel
Seit 2011 müssen alle verpackten Öko-Lebensmittel, die in der EU produziert wurden, dieses Bio-Siegel tragen. Das Blatt bestehend aus Sternen der EU-Fahne auf grünem Grund steht für die Einhaltung und Kontrolle der Kriterien der EG-Öko-Verordnung. Die Lebensmittel erfüllen den EU-Mindeststandard, zum Beispiel, dass 95 Prozent der landwirtschaftlich produzierten Zutaten aus ökologischem Anbau stammen. Die Hersteller, die dieses Bio-Siegel tragen dürfen, werden mindestens einmal im Jahr von einer Kontrollstelle überprüft. Über einen Code auf der Verpackung lässt sich die Kontrolle zurückverfolgen.
Nur Produkte, die mindestens die EU-Öko-Verordnung erfüllen,
- dürfen die Begriffe Bio-, Öko-, biologisch, ökologisch, oder Synonyme verwenden.
- dürfen bzw. müssen die Angabe der prüfenden Öko-Kontrollstelle (Kontrollstellen-Code, z. B.: DE-ÖKO-XXX) verwenden.
- dürfen das europäische Bio-Siegel und gegebenenfalls nationale Bio-Siegel und den Namen und das Logo des Bio-Anbauverbands, dessen Mitglied sie sind, tragen.
Deutsches Bio-Siegel
Neben dem EU-Siegel steht auf vielen Produkten nach wie vor noch das sechseckige Deutsche Bio-Siegel. Das Siegel bleibt trotz des EU-Bio-Siegels gültig und kann freiwillig auf Produkten verwendet werden. Das deutsche Siegel wird vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL) vergeben und kennzeichnet Lebensmittel aus kontrolliert ökologischem Anbau. Die Kriterien für die Vergabe des Siegels richten sich nach den Bestimmungen der EG-Bio-Verordnung. Auch hier gilt: Mindestens 95 Prozent der Zutaten, die landwirtschaftlich erzeugt wurden stammen aus ökologischem Anbau. Dieses Bio-Label gibt es seit 2001, derzeit verwenden es rund 5.500 Unternehmen für circa 82.000 Waren. Die Anbieter verzichten bei ihren Lebensmitteln zum Beispiel auf Geschmacksverstärker, künstliche Aromen und Farbstoffe. Tiere dürfen nur mit ökologischem Futter gefüttert werden, der Einsatz von Antibiotika ist beim deutschen Bio-Siegel stark begrenzt.
Bio-Siegel im Überblick: Bioland
Über 8500 Biobauern, 1300 Lebensmittel-Hersteller und -Händler: Bioland ist nach eigenen Angaben der bedeutendste ökologische Anbauverband in Deutschland. Auch die Kriterien für Bio-Siegel von Bioland gehen über die EG-Öko-Verordnung hinaus. Das System des Anbauverbandes (seit 1976) basiert auf einem geschlossenen Betriebskreislauf, mit dem unter anderem auf die langfristige Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit geachtet wird. Produktions- und Futtermittel stammen weitgehend aus dem eigenen Betrieb, erkrankte Tiere werden. Zudem unterstützen Dach- und Regionalverbände mit Fortbildungsveranstaltungen, beim Networking der Erzeuger und des Handels und bei der Vermarktung.
Die sieben Bioland-Prinzipien zeigen, wie wir uns die Landwirtschaft der Zukunft vorstellen. Die Mitglieder wollen die Menschheit langfristig ernähren – und dabei unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Auf den Bioland-Prinzipien basieren auch unsere Richtlinien für Anbau, Tierhaltung und Verarbeitung, nach denen alle unsere Mitglieder und Partner arbeiten. Nur wer die Zusammenhänge und Auswirkungen unserer Wirtschaftsweise kennt, kann wirklich einschätzen, welchen Mehrwert Bioland-Lebensmittel für alle Menschen haben.
Bio-Siegel im Überblick: Naturland
Ein Bio-Siegel mit hohen Standards für die Erzeugung und Verarbeitung: Auch hier gehen die Kriterien für Naturland-Waren (seit 1982) über die EG-Öko-Verordnung hinaus. Detaillierte Richtlinien begleiten die Produkte vom Anbau bis zu ihrem Weg in den Handel.
Die Naturland Richtlinien decken dabei auch Bereiche ab, die in der ›EG-Öko-Verordnung nicht geregelt sind, wie z.B. die ökologische Waldnutzung, Textil- und Kosmetika-Herstellung, Gastronomie oder auch soziale Aspekte über die Sozialrichtlinien.
Naturland veröffentlicht derzeit Richtlinien aus Bereichen landwirtschaftliche Erzeugung, Aquakultur, Imkerei sowie Holzwirtschaft. Eine gute Übersicht der jeweiligen Maßnahmen von Naturland im direkten Vergleich mit der EU-Bio-Verodnung gibt die folgende Liste von Naturland.
Bioland unterstützt auch die Initiative und den Leitfaden für eine nachhaltige Verpackung des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft. Der Leitfaden beschreibt ein idealtypischen Vorgehen bei der Definition einer Verpackung, die in Verstellung, Verwendung und beim Recycling besonders nachhaltig ist und gleichzeitig eine höchstmögliche Qualitätssicherung der verpackten Lebensmittel ermöglicht.
Bio-Siegel im Überblick: Demeter
Der Demeter e.V. ist nach eigenen Aussagen der älteste Bioverband in Deutschland. Seit 1924 bewirtschaften Demeter-Landwirte ihre Felder biodynamisch. Aufgrund der lebendigen Kreislaufwirtschaft gilt die Demeter-Landwirtschaft als eine der nachhaltigsten Weisen der Landbewirtschaftung und geht beispielsweise beim Tierwohl und bei der Lebensmittelverarbeitung weit über die Vorgaben der EU-Öko-Verordnung hinaus. Als demokratisch organisierter Verband steht der Demeter e.V. für fairen Austausch und beständige Weiterentwicklung. Der respektvolle Umgang mit Erde, Pflanze, Tier und natürlich auch zwischen den Menschen ist Grundlage unserer Arbeit.
Neben Dung und Kompost werden auch Biodynamische Präparate eingesetzt, die eine positive Wirkung auf die Bodenstruktur- und -aktivität sowie auf die Früchtequalität haben. Natürlich verzichtet die man als Demeter-zertifizierter Betrieb auf chemisch-synthetische Pestizide, synthetischer Dünger auch auch jede Form von Gentechnik. Der Demeter Verband engagiert sich für die Züchtung von Pflanzen und Tieren, die an den Ökolandbau angepasst sind. Viele Demeter-Anbieter verstehen sich als Orte des sozialen Miteinanders und verstehen sich als solidarisch, integrative Wertegemeinschaft und tritt diskriminierenden oder menschenverachtenden Verhaltensweisen entschieden entgegen.
Wie kommt man nun als Hersteller zu einem Bio-Siegel?
Voraussetzung ist zum einen die Einhaltung der jeweiligen Grundsätze der biologischen Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung und zum anderen ein Vertrag mit dem jeweiligen Verband, also der Zertifizierungsstelle. Für das EU-Bio-Siegel ist ein Kontrollvertrag nach der EG-Öko-Verordnung 834/2007 notwendig. Mit Vertragsunterzeichnung beauftragt der Unternehmer die Zertifizierungsstelle (z. B. ABCert AG) damit, die nötigen Überprüfungshandlungen und Bewertungen durchzuführen und ihm bei positiver Bewertung eine Bescheinigung gemäß Art. 29 Abs. 1 VO (EG) Nr. 834/2007 auszustellen.
Die Gebühr für die Grundpauschale, für die Regelkontrolle (einschließlich von Zufallsstichproben, Analysen und Cross-Checks), die Meldung der Kontrollergebnisse und Daten an die zuständigen Behörden sowie für die Aktualisierung und Veröffentlichung der Zertifizierung in der nationalen Datenbank richtet sich nach der Größe des Betriebes. Die kleinste Pauschale in Höhe von 255 Euro fällt bei Betriebstypen mit 5 ha landwirtschaftliche Kulturen, bis zu 0,5 ha Sonderkulturen (Gemüse, Wein, Obst etc.) oder Imkereien mit bis zu 25 Bienenvölkern an.
Natürlich müssen auch die Herstellung und Verarbeitung der Lebensmittel die Grundsätze der ökologischen Landwirtschaft oder Imkerei gemäß EG-Öko-Verordnung erfüllen.
Prinzipien der ökologischen Imkerei
Für Imker, die schon zuvor naturnah und biologisch imkern, muss sich oft nicht viel ändern. Die Bienenstöcke sind während der Trachtzeit so aufzustellen, dass im Umkreis von drei Kilometern um den Standort Nektar- und Pollentrachten im Wesentlichen aus ökologischen/biologischen Kulturen und/oder Wildpflanzen und/oder Kulturen bestehen, die nach Methoden mit geringer Umweltauswirkung behandelt werden. Daneben darf der Imker ausschließlich Mittelwände aus Bio-Wachs, biologische Säuren bei der Varroabehandlung und für die Winterfütterung nur Bio-Zucker bzw. Bio-Zuckersirup verwenden. Die Beuten müssen aus natürlichen Materialien bestehen, Anstriche in den Beuten nur aus Propolis, Wachs oder natürlichen Pflanzenölen. Die Reinigung und Desinfektion von Beuten kann durch physikalische Behandlungen wie Dampf oder Abflammen erfolgen. Wachsmottenbefall kann durch Tiefgefrieren oder Bakterienpräparate behandelt werden. Bei Verarbeitungsprodukten (z.B. Met, Honigmischprodukte) sind Aufzeichnungen über die Herstellung (Rezepturen, Produktionstagebücher) erforderlich, Zukäufe von Zutaten und Zusatzstoffen müssen belegt werden.
Die Regeln vieler Bio-Verbände sind noch strenger. Naturland-Imker würden nur Mittelwände, Anfangsstreifen und andere Wachsprodukte aus Wachs einer Imkerei verwenden, die von Naturland zertifiziert ist bzw. einer von Naturland als gleichwertig anerkannten Zertifizierung entspricht. Kunststoffmittelwände sind nicht zugelassen. Zusätzlich verzichten Demeter-Imker auf ein Wegbrechen von Schwarmzellen, Brutableger-Bildung oder die aktive Unterbindung des Schwarmtriebs. Demeter Imker setzen ausschließlich auf Naturwabenbau und lassen den Bienen einen wesentlichen Teil des Honigs für die Überwinterung.
Auf die richtige Kennzeichnung kommt es an
Sind alle Anforderungen an die biologische Tierhaltung, Landwirtschaft und Imkerei erfüllt, sauber dokumentiert, geprüft und zertifiziert, darf das Lebensmittelprodukt das Bio-Gütesiegel tragen. Jedoch regeln die Zertifizierungsstellen und Verbände wie Bioland, Demeter, etc. die Verwendung von Warenzeichen streng. Auf vorverpackten Bio-Lebensmitteln sind auf den Etiketten folgende Angaben verpflichtend:
- Name und Anschrift des Unternehmens
- produktbezogener Biohinweis (z.B. Biohonig)
- EU-Bio-Logo mit Codenummer der Kontrollstelle z. B. »DE-ÖKO-006«
- Herkunftsangabe unter der Codenummer Die Herkunft deutscher Lebensmittel kann entweder mit „EU-Landwirtschaft“ oder „Deutsche Landwirtschaft“ gekennzeichnet werden.
Auch die Größe, Position und der Randabstand ist geregelt. Das EU-Bio-Logo muss mindestens 13,5 x 9 mm groß sein (Verhältnis stets 1:1,5) und das Grün muss in der CMYK-Farbschema 50% Cyan und 100% Yellow (Pantone 376) einhalten. Genauere Hinweise für die jeweilige Verwendung des Verbandslogos auf dem Etikett oder der Verpackung geben die jeweilige Zertifizierungsstellen. Gerne unterstützen wir Sie im Rahmen unseres Grafikdesign-Services bei der Integration der jeweiligen Zertifizierungs- und Verbandslogo nach den geltenden Regeln und Normvorschriften.
FAZIT: Siegel geben eine wertvolle Orientierung
Biologische Lebensmittelherstellung sollte nicht nur aus einem kommerziellen Streben die zukunftsweisende Grundhaltung und Praxis sein. Der Mehraufwand, der in einigen Bereichen eine biologische Betriebsweise ermöglicht, ist im Sinne einer nachhaltigen Verhaltensweise gegenüber Umwelt, zum Wohl des Menschen und des Tierwohls eine sinnvolle Investition in eine lebenswertere Zukunft. Gleichzeitig wächst die Bereitschaft in der Bevölkerung diesen Einsatz einen besonderen Wert beizumessen, Produkte zu bevorzugen und einen höheren Preis zu bezahlen. Die verschiedenen Bio-Zertifizierungen geben eine gute Orientierung für lebensmittelherstellende Betriebe und dem Verbraucher eine erste Sicherheit. Ob ein Bio-Siegel tatsächlich notwendig ist, muss jeder Lebensmittelproduzent selbst entscheiden. Kleine Lebensmittelmanufakturen, Imker oder Marmeladenköche können sicherlich ihre Sorgfalt und Naturverbundenheit auch ohne Siegel glaubhaft kommunizieren. Für größere Betriebe sind die verschiedenen Maßnahmen und Handlungsanweisungen der Bio-Zertifizierung eine sehr gute Guideline auf dem Weg zu einem besonders natur- und umweltverbundenen Handeln und zum Wohl des Menschen.